Aus Gengenbach in Gengenbach über Gengenbach – so könnte man den Vortragsabend überschreiben, der am Dienstagabend bei uns am Marta-Schanzenbach-Gymnasium stattfand.
Gemeinsam mit dem Museum Haus Löwenberg hatte das MSG ihren ehemaligen Schüler, den Historiker Jonas Bechtold, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn, eingeladen, einem interessierten Publikum Einblicke zu geben in ein bedrückendes Stück Stadtgeschichte, nämlich die Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Schulleiter Stefan Feld begrüßte den Abiturienten des Jahres 2012 und gebürtigen Gengenbacher Jonas Bechtold mit großer Freude in der neu gestalteten Aula des Gymnasiums, die an diesem Abend auch erstmals als würdiger Ort für eine Veranstaltung diente. Reinhard End, Leiter des Museums Haus Löwenberg, berichtete in seiner Vorstellung des Referenten von einem jugendlichen MSG-Schüler, der sich im Museum mit dem Wunsch mitzuarbeiten vorgestellt habe und bis heute im Förderverein aktiv sei und gerne als „Themenscout“ seine Einblicke und Erkenntnisse aus seiner historischen Forschung Gengenbach zugute kommen lasse.
Der Referent selbst gestand am Anfang seines inhaltlich profunden und rhetorisch versierten Vortrags, dass die Beschäftigung mit der Chronik des Gengenbacher Stadtpfarrers Leonhard Feinlein aus dem Schreckensjahr 1643, in dem die Stadt dreimal geplündert und verheert wurde, eigentlich ein Nebenprodukt der Corona- und Brexit-Zeit gewesen sei, da er aus genannten Gründen sich nicht seinem eigentlichen Schwerpunkt, der englischen Diplomatiegeschichte des 16. Jahrhunderts, widmen konnte. Dieses Geständnis entpuppte sich rasch als Understatement, denn Bechtold gelang es in seinem Vortrag, ein lebendiges Bild vom Leben in Gengenbach und im Kinzigtal zu zeichnen, zu einer Zeit, die der Chronist Feinlein als „großes Ellendt“ beschreibt. Gengenbach war zwar nicht unmittelbares Ziel militärischer Aktionen, dennoch kann das Jahr 1643, folgt man der Chronik Feinleins, als „annus horribilis“ für die Stadt bezeichnet werden. Dreimal, im März, August und November, zogen französische Truppen unter dem Maréchal de France, Jean Baptiste Comte de Guébriant, Oberbefehlshaber der französischen Truppen am Rhein, auf dem Weg nach Oberschwaben durch Gengenbach, denn dieser hatte die Aufgabe, den bayrischen Heerführer Franz von Mercy dort in Schach zu halten. Anfang März 1643, als erstmals französische Truppen vor Gengenbach standen, reagierte man noch mit Widerstand, gab diesen angesichts der Übermacht, die die Stadt belagerte, aber bald auf. Hier spielte Feinlein eine zentrale Rolle, bat er doch gemeinsam mit einem Stadtrat Maréchal Guébriant um Verschonung der Stadt.
Die durchziehenden französischen Truppen zerstörten und setzten Häuser in Brand, plünderten Lebensmittelvorräte und Vieh und raubten Sakralgegenstände in der Stadtkirche. Feinleins Chronik konstatiert, die Truppen seien „dermaßen mit unß umbgegangen daß es einen Türckhen hätte Erbarmen sollen“. Jonas Bechtold ordnete die Schilderungen des Gengenbacher Stadtpfarrers ein und verglich sie mit den zahlreichen anderen Selbstzeugnissen städtischer Eliten aus dieser Zeit. Dabei wurde deutlich, dass Geschichtsschreibung immer auch Geschichtsdeutung ist und das Selbstverständnis des Schreibers zum Ausdruck bringt. Feinlein habe mit seiner Schilderung der Ereignisse, der Aufzählung der Schäden und der Darstellung seines Einsatzes als Hirte für die Stadtbevölkerung schon die Nachkriegszeit im Blick. Es verbinde sich damit die Hoffnung auf Reparationen oder doch zumindest den Erlass von Abgaben ebenso wie das Ansinnen, den eigenen Einflusses als Stadtpfarrer zu sichern, der im beständigen Spannungsgefüge zwischen Reichsstadt und Reichsabtei habe agieren müssen. Als „Retter der Stadt“ schaffe Feinlein sich mit seiner Chronik seine eigene „Memoria“. Dass dies trotz mancher Rückschläge gelungen ist, beweist – so Bechtold – die Erwähnung der Verdienste des Stadtpfarrers in der Chronik des Gengenbacher Klosters nach seinem Tod im Jahr 1679.
Fünf Jahre nach dem „annus horribilis“ 1643 wurde mit dem Westfälischen Frieden der Dreißigjährige Krieg beendet. Jahre des harten und unablässigen Verhandelns aller Beteiligten hatten diesen Friedensschluss ermöglicht, weshalb die aktuelle Friedens- und Konfliktforschung überprüft, ob die damaligen Strategien nicht auch hilfreich sein könnten für gegenwärtige Dauerkrisenherde wie im Nahen Osten. Mit diesem Ausblick schloss Jonas Bechtold seinen Vortrag, der bei der zahlreichen Zuhörerschaft großen Anklang fand, was sich auch in vielen Nachfragen und Anmerkungen zeigte. Bewirtet von Schülern und Schülerinnen des Leistungskurses Geschichte ließen viele den Abend in Nachgesprächen noch ausklingen. (Hr)
v. l. n. r.: Abteilungsleiterin Barbara Herrmann (Organisation), Schulleiter Stefan Feld, Referent Jonas Bechtold, Museumsleiter Reinhard End